Riwetho wird zu einem der letzten IBA-Projekte
Gut zwei Jahre vor ihrem Abschluß und nach Konstituierung der rotgrünen Landesregierung in NRW richtete die IBA dann doch noch einen Projektaufruf an die Initiativen in der Region. Frau Brusis, die zuständige Ministerin, hatte sich entschlossen, unter dem Titel "Initiative ergreifen" mit 20 Mio. DM aus der Städtebauförderung des Landes einen kleineren Haushaltstitel zur Entwicklung von bürgerschaftlichen Projekten und Initiativen aufzulegen. Aufgerufen werden sollten Projekte, die "Impulsgeber für strukturellen Wandel, Keimzellen für Innovation und einen besonderen Aspekt von Modernität im Ruhrgebiet betonen" (IBA Emscher Park 1999, S.213). Die Projekte sollten allesamt deutlich machen, dass sie nach einer Anschubfinanzierung dauerhaft und eigenständig am Markt existieren können.
Eines der langjährigen IBA-von-unten-Projekte, von âOben' bislang ignoriert und ungefördert, die Interessengemeinschaft zum Erhalt der Siedlung Ripshorsterstraße in Oberhausen (Riwetho e.V.), ergriff die Initiative gleich doppelt.
Im Januar 1998 gründete die aktive Bewohnerschaft die Riwetho-Genossenschaft e.G. Es galt, schleunigst Alternativen zur drohenden Einzelprivatisierung oder den Verkauf an renditeorientierte Dritte zu schaffen: denn nach jahrelangem Engagement gegen den Abriß waren erstmals Verkaufsabsichten der Eigentümerin - Thyssen-Immobilien - bekannt geworden.
Gleichzeitig bot sich kurz vor Toresschluß der IBA mit dem Aufruf, und das wider Erwarten, eine (letzte) Möglichkeit, finanzielle Unterstützung für notwendige personelle und fachliche Ressourcen für das Projekt "Genossenschaft Riwetho" zu beantragen - über den ersten und einzigen Programm-Topf der IBA, dessen Inhalt diese selbst verwalten durfte.
In einem ersten Anlauf reichte Riwetho den Antrag für den Bau und Betrieb eines offenen Gemeinschaftshauses bei der IBA ein. Dieser wurde allerdings abgelehnt mit dem Hinweis, dass erst eine Gesamtlösung für die Siedlung gefunden werden müsse. Hierfür sollte die Siedlungsgemeinschaft selbst sorgen.
Nachdem die Verkaufsabsichten der Thyssen-Immobilien bekannt wurden, versuchte Riwetho quasi in allerletzter Sekunde einen erneuten und erweiterten Projektantrag für den Bau eines Gemeinschaftshauses und den Aufbau des nun geplanten Genossenschaftsunternehmens zu plazieren, und nun gelang es: Riwetho wurde als eines der letzten Projekte in den Reigen der IBA-Projekte aufgenommen. Spät genug, um in keiner offiziellen IBA-Broschüre zum Abschluß und Präsentationsjahr der IBA aufzutauchen. An dieser Stelle soll aber nun die Entwicklung des Wohnungsprojektes von der Abrißplanung bis hin zur selbstverwalteten Bewohnergenossenschaft dokumentiert werden.
Die neue A-Klasse - und der Elchtest für die Wohnungspolitik
Arbeitslose, Alte, AkademikerInnen, Ausgegrenzte, Alleinstehende, ArbeiterInnen, AusländerInnen - eine bunte Mischung, die die Siedlung Ripshorster-, Werk- und Thomasstraße (RiWeTho) belebt: ein benachteiligtes Wohnquartier, das im ständigen räumlichen Konflikt zu dem nur wenige Schritte entferntem stadtentwicklungspolitischen Großprojekt Neue Mitte-Oberhausen steht.
In der Siedlung leben ca. 220 Menschen in 68 Wohneinheiten. Mehr als die Hälfte der Wohnungen sind von Deutschen bewohnt; zugleich beträgt ihr Anteil an der Gesamtbewohnerschaft nur 35%. Fast ein Drittel der BewohnerInnen sind Kinder und Jugendliche, zumeist türkische/kurdische, die im besonderem Maße von der (Jugend-)Arbeitslosigkeit betroffen sind. Die durchschnittliche Wohnfläche beträgt 21 qm pro Person und liegt damit deutlich unter dem Bundestrend von ca. 38 qm. Die zu den Wohnungen gehörenden Gärten und Freiflächen kompensieren aber die geringe Wohnfläche. Die hohe (Jugend-)Arbeitslosigkeit kann z.T. durch diverse nachbarschaftliche Netzwerke und Selbstorganisationsmöglichkeiten im Siedlungsfreiraum in ihren schlimmsten Auswirkungen kompensiert werden.
Eine Verdrängung der BewohnerInnen durch Verkauf und eine nicht bezahlbare (Luxus-)Modernisierung hätte fatale Folgen, da preisgünstiger Wohnraum überall knapp geworden ist. Es ist naheliegend, dass die Siedlung neben den vorhandenen denkmalwerten architektonischen und historischen Qualitäten auch eine wichtige soziale und wohnungspolitische Versorgungsrolle im Niedrigpreissegment übernimmt.
Am Ausstattungsstandard der Wohnungen hat sich seit ihrer Fertigstellung zu Beginn des Jahrhunderts wenig geändert. Folgt man den Mietverträgen, verfügen 40% der Wohnungen über eine Hoftoilette, 30% über kein Bad/Dusche und lediglich 30% über Bad und Toilette. Über die Jahre wurden in Nachbarschafts-/Selbsthilfe in allen Wohnungen Bad/Dusche und WC eingebaut. Der Einbau von Naßzellen, Heizvorrichtungen und der Umbau von Küchen war und ist immer wieder ein Kristallisationspunkt und Beispiel für kleinteilige 'informelle' Arbeitsfelder. Nach wie vor gilt, dass z.B. Phasen der Erwerbslosigkeit durch entsprechende Tätigkeiten überbrückt werden. Deutlich wird auch, dass der Gebrauchswert einer Wohnung, im Sinne der Kristallisierung einer Vielzahl von Bedürfnissen und Lebensäußerungen nicht in abstrakten Räumen situiert, sondern an konkreten Orten produziert wird und Netze materieller und sozialer Produktion bildet. Für Kinder und Jugendliche ist die Siedlung Spiel- und Entwicklungsraum, für viele Frauen und Männer Ort ihrer Familienarbeit, für Erwerbstätige ist sie Ruhe und Freizeitraum, für Gewerbetreibende Wirtschaftsraum und für MigrantInnen Ort der Integration und Raum zur Sicherung eigener Kultur.
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